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älteres Paar lächelt sich an

Stufenmodell nach Erikson 1973

26.04.2022 | Gisela Thiele

Erikson entwickelte mit einem anthroposophischen Schwerpunkt die Phasentheorie Sigmund Freuds weiter (Noack 2010 S. 37) und beschrieb ein Modell der psychosozialen Persönlichkeitsentwicklung, das acht Stufen beinhaltet, die in einem inneren Entwicklungsplan angelegt sind. Danach ergibt sich der ‚Sinn des Lebens‘ erst im Alter in der Lebensbilanz, indem, Stufe um Stufe, unsere jeweiligen Lebensaufgaben bearbeitet werden. Das Erlangen von Ich-Identität ist das Generalthema der Theorie und beruht für Erikson auf der Bewältigung von Anforderungen, die aus der Einbettung des Individuums in eine bestimmte Sozialordnung resultieren. Gelingt es, eine Aufgabe zu bewältigen, entwickelt sich eine psychologische Stärke, die das Erschließen der nächsten Aufgaben positiv unterstützt. Jedes Stadium ist durch eine spezifische Krise gekennzeichnet. Erst die Lösung von Krisen gestattet die Weiterentwicklung im Sinne einer Bewahrung von Identität. Die Krise des hohen Alters liegt im Akzeptieren des bislang gelebten Lebens einschließlich allem Unerreichten.

Erikson geht davon aus, dass der Mensch im Laufe seines Lebens acht Entwicklungsphasen durchläuft, die einem epigenetischen Prinzip folgen. Auf jeder Stufe ist die Lösung der relevanten Krise erforderlich. Eine psychosoziale Krise zeichnet sich einerseits durch erhöhte Vulnerabilität aus, birgt andererseits aber auch ein erhöhtes Potenzial für Entwicklung und persönliches Wachstum. Die für das Alter zutreffende Stufe ist die 8., die das reife Erwachsenenalter umfasst, in der zwei Aufgaben zu meistern sind: zum einen die Integrität versus Verzweiflung. Integrität meint die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen. Die zweite Lebensaufgabe ist die Ich-Integrität vs. Verzweiflung, ein Phänomen, was auf das hohe Erwachsenenalter zutrifft. Damit sind Verbitterung und auch Verachtung dem eigenen Leben gegenüber gemeint (Scheck 2015, S. 77). Es ist möglich, die mit Vergänglichkeit und Tod verbundene Angst zu überwinden, indem man sich zur Integrität verpflichtet. Dieses Engagement fördert das Gefühl, dass das eigene Leben Sinn macht, und leitet sich aus einer breiteren Perspektive einer Re-Synthese gelebter Erfahrung ab. Das Gefühl, noch einmal leben zu müssen, um es dann besser zu machen, führt zur Verzweiflung (Erikson 1988 S. 87).

Aufgrund mangelnder Aufrichtigkeit in autobiografischen Fragen wird Eriksons grundsätzliche wissenschaftliche Qualität in Frage gestellt (vgl. Noack 2010, S. 51). Ebenso ist die Darstellung einer linearen Entwicklung zu hinterfragen, in der eine immer höherwertige Stufe anzustreben ist, und auch, ob jede weitere Entwicklungsstufe grundsätzlich höherwertiger ist und die Menschen sozusagen einem ‚Ideal-Ich' entgegenwachsen sollen (Gödde 2021. S. 17).

Kernaussage: Wer seine Lebensziele Stufe für Stufe realisiert, Leistung und Misserfolg als Konsequenz seiner eigenen Handlung und Biografie begreifen kann und mit seinem bisherigen Leben zufrieden ist, kann sich selbst akzeptieren, erlebt keine Todesangst und erlangt eine zeitlose Identität.

Erikson, Erik H. (1988). Identität und Lebenszyklus: drei Aufsätze. Suhrkamp Berlin. ISBN 9783518276167.

Günter Gödde (2021). Entwicklungslinien psychodynamischer Psychotherapie: Historische Orientierung, aktuelle Situation und zukünftige Perspektiven Psychosozial Gießen. ISBN 383793103.

Noack, J. (2010). Erik H. Erikson: Identität und Lebenszyklus.  Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden. ISBN 978-3-531-92196.

Scheck, S., Wohlberedt, T., Ruppe, S., Schumacher, A., & Antonijevic, A. S. (2015). Vom Kind zum Erwachsenen. Die Entwicklungsphasen des Menschen nach Erik H. Erikson. Science Factory Hamburg. ISBN 3956871634.

Zitiervorschlag
Thiele, Gisela, 2022. Stufenmodell nach Erikson 1973 [online]. Altenarbeit.info. Bonn: socialnet GmbH, [Zugriff am: 27.04.2024]. Verfügbar unter: https://www.altenarbeit.info/stufenmodell-nach-erikson-1973.html

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