Basale Stimulation
07.11.2017 | Christian Bleck
Hintergrund
Das Konzept „Basale Stimulation“ gründet auf stimulierende Sinnesangebote (von lat. stimulation = Anregung, Anreiz), die bereits im Mutterleib als basale (von lat. basal = grundlegend), früheste Ereignisse erfahren wurden. Nach Fröhlich bedeutet "basal" auch, dass die angebotenen Reize einfachster Art sind und sie auf ein Mindestmaß an innerer Differenzierung reduziert werden. Durch entwicklungspsychologisch und biographisch ausgewählte Methoden sollen schwer beeinträchtigte oder von schwerer Beeinträchtigung bedrohte Menschen unterstützt werden, die Körperselbstwahrnehmung zu aktivieren, das Körper – Ich zu stabilisieren und darüber erste Beziehungen zur sozialen und materiellen Umwelt aufzunehmen. (Fröhlich 2003, S. 178f.)
Basale Stimulation ist ein pädagogisches und pflegerisches Konzept, das in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts von Fröhlich entwickelt und von Bienstein auf die personenorientierte Pflege übertragen wurde. Es ist ein Konzept menschlicher Begegnung, das individuelle Möglichkeiten und Anregungen bietet, in dialogisch-kommunikativen Prozessen Entwicklungsbedingungen zu gestalten, die die Gesundheit und das Wohlbefinden erhöhen, die Bildung und Partizipation sowie ein selbstbestimmtes Leben trotz Beeinträchtigungen fördern, erhalten oder unterstützen soll (Mohr 2011, S. 24).
Basale Stimulation kann als „gedankliche Annäherung an die Probleme und Schwierigkeiten sehr schwer beeinträchtigter Menschen“ verstanden werden (Fröhlich 2003, 10), das heißt als Verstehens- und Handlungsmodell, als Denkfigur. Es ist ein pädagogisches und therapeutisches Arbeiten, das darauf abzielt, das Leben zu erhalten und Entwicklung zu erfahren, das verbleibende eigene Leben zu spüren, sich sicher zu fühlen und Vertrauen aufzubauen, Beziehungen aufzunehmen und Begegnungen zu gestalten sowie die Außen- und Innenwelt besser wahrzunehmen (Bienstein & Fröhlich 2012, S. 89 ff).
Bezüglich dieser Begriffsbestimmung sind insbesondere zwei Aspekte zu berücksichtigen:
Als wesentlicher Faktor für die Entwicklung des Gehirns wird die Reizanregung über ständige Veränderung und Bewegung – bewusst und unbewusst – und das Zusammenspiel aller Sinne durch die Umwelt neben genetischen Faktoren angenommen. Somit bewirkt das Fehlen von Außenreizen eine mangelhafte, wenig differenzierte Strukturierung des Gehirns. Durch körpernahes Anbieten von gezielten Anregungen im Bereich der Sensorik sollen die aktive Wahrnehmung und die Reaktionsfähigkeit stimuliert werden.
In der Praxis sind dies somatosensorische, vestibuläre (Gleichgewichtssinn), orale (Mund betreffend), olfaktorische (Geruchssinn), taktile, haptische (Tast- und Greifsinn, akustische und optische Stimulationen. So sind die meist monotonen und häufig selbstschädigenden Autostimulationen nach Hartwanger (1996, S. 588) ein Hilfeschrei von Menschen, die unter einem Mangel an sinnlicher Anregung leiden.
Die Basale Stimulation beruht auf somatischen Wahrnehmungen und auf dem Zusammenspiel von taktilen und propriozeptiven (eigene Wahrnehmung) Eindrücken, so dass die Sinneseindrücke des eigenen Körpers, seiner Teile, Grenzen und Bewegungen offen für Berührungen zur Unterstützung bei der Körperpflege sowie für begleitende und geführte Bewegungen sind.
Die Wahrnehmungsbereiche sind im Erleben eines Menschen nicht nacheinander, sondern zur gleichen Zeit präsent, sie treten ganzheitlich auf und zwar als Gesamteindruck der eigenen Person und der uns umgebenden Umwelt. Auch die zentralen Lebensthemen, die Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf gegenwärtig bewegen, mit denen wir interagieren, sollen durch die basale Stimulation erschlossen werden.
Ziele und Umsetzung
Als methodischer Ansatz der Altenarbeit wird Basale Stimulation primär in den pflegerischen Kontexten der Altenhilfe angewendet. So wird in der Altenpflege mit basaler Stimulation insbesondere versucht, alten Menschen mit Beeinträchtigungen sowie besonderem Hilfe- und Pflegebedarf, Angebote zu unterbreiten, die die Biografie des Betreffenden erkunden und diese berücksichtigen, um sensorische Gewohnheiten aufzuspüren und sie weiterzuentwickeln. Insbesondere Demenz führt in fortgeschrittenen Stadien zu kognitiven Defiziten und häufig zu Kommunikationsproblemen, so dass es schwierig ist, den Patientenwillen zu erfragen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Ziel ist deshalb der Aufbau einer tragfähigen Beziehung zum alten und beeinträchtigten Menschen sowie zwischen dem Patienten und seiner Umwelt. Basale Stimulation in der Pflege bietet für ältere Menschen elementare und einfache Anregungen, für die sie durch krankheitsbedingte Begrenzungen nicht mehr selbst angemessen sorgen können. Auch wenn Basale Stimulation in einer umfassenderen Weise in pflegerischen Handlungskontexten angewendet werden kann, sind grundlegende Prinzipien und ausgewählte Erfahrungsbereiche auch in der sozialen Altenarbeit zu berücksichtigen und umsetzbar. Beispielsweise lassen sich orale Erfahrungen durch den Genuss von biografisch bekannten Süßigkeiten, olfaktorische Erfahrungen durch duftende Blumen und akustische bzw. audiorhythmische Erfahrungen durch das Anspielen von beliebten Musikstücken stimulieren.
Alte Menschen, die in vielerlei Hinsicht in ihrer Wahrnehmung und Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt sind, kann durch basales Arbeiten die Lebenswirklichkeit verbessert und positiv beeinflusst werden. Mögliche positive Aspekte können sein: die Reduzierung einschränkender Maßnahmen, weil Menschen ruhiger, orientierter, weniger getrieben und aggressiv sowie selbstsicherer werden und Medikamente reduziert werden können, um der Fremdbestimmung entgegen wirken zu können (Buchholz & Schürenberg 2013, S. 39).
Literatur
Buchholz, Thomas und Ansgar Schürenberg, 2013. Basale Stimulation in der Pflege alter Menschen. Anregungen zur Lebensbegleitung. 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Bern: Hans Huber, Hogrefe AG. ISBN 978-3-456-84564-7
Bienstein, Christel und Andreas Fröhlich, 2012. Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen. 7. Auflage. Bern: Hans Huber, Hogrefe AG. ISBN 978-3-456-85648-3
Fröhlich, Andreas, 2003. Basale Stimulation. Das Konzept. 4. Auflage. Düsseldorf: Verlag Selbstbestimmtes Leben. ISBN 978-3-910-09531-1
Hartwanger, Andreas, 1996.Den Körper als Ganzes spüren. Die Basale Stimulation in der Pflege altersverwirrter Menschen. In: Altenpflege - Vorsprung durch Wissen. Zeitschrift. Vol. 21. Nr. 9, S. 587-589
Mohr, Lars, 2011. Schwerste Behinderung und theologische Anthropologie. Lehren und Lernen mit behinderten Menschen. Bd. 22. Oberhausen: Athena. ISBN: 978-3-898-96428-9
Zitiervorschlag
Bleck, Christian, 2017.
Basale Stimulation [online]. Altenarbeit.info. Bonn: socialnet GmbH, [Zugriff am: 02.12.2024].
Verfügbar unter: https://www.altenarbeit.info/basale-stimulation.html