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älteres Paar lächelt sich an

Soziale Netzwerkarbeit

07.11.2017 | Christian Bleck

Hintergrund

Die Wurzeln der Netzwerkarbeit liegen – vor allem mit Blick auf die dabei verwendeten Verfahren der Netzwerkanalyse – in der Netzwerkforschung, die in den 1950er Jahren zunächst im Rahmen von ethnologischen und soziologischen Untersuchungen entwickelt und später in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen immer populärer wurde (Nowak 2013, S. 269f.; Galuske 2013, S. 330f.). Der Begriff des sozialen Netzwerkes bezieht sich auf Geflechte sozialer Beziehungen von Menschen und verweist auf das Bild eines Netzes mit verschiedenen Knotenpunkten und Verbindungslinien. Damit verbunden wird das Eingebundensein der Menschen in soziale Beziehungen und Bindungen in den Blick genommen (Galuske 2013, S. 331). Netzwerke werden oft in folgende drei Netzwerktypen unterschieden (z. B. Stimmer 2012, S. 178; Galuske 2013, S. 331f.; Wendt 2015, S. 357): Primäre oder mikrosoziale Netzwerke (das engere Netzwerk wie Familie, Nachbarschaft, Freundschaften etc.), sekundäre oder makrosoziale Netzwerke (institutionelle Netzwerke wie Institutionen der Kommune, des Gesundheitssystems, des Bildungssystems etc.) sowie tertiäre oder mesosoziale Netzwerke (zwischen dem privaten und ‚öffentlichen‘ Sektor liegende Netzwerke wie Selbsthilfegruppen, Nichtregierungsorganisationen etc.).

In der Gerontologie spielen Studien zu den sozialen Netzwerken von alten Menschen eine besondere Rolle, da sie etwa Hinweise auf die Größe und Struktur von Hilfenetzen ebenso wie auf die Art der sozialen Ressourcen und Unterstützung (emotionale, kognitive und instrumentelle Hilfe) geben können (z. B. Künemund & Kohli 2010, S. 310).

Bedeutsam ist hierbei, dass die Lebensphase Alter mit besonderen Veränderungen verbunden ist, die sich auch auf soziale Teilhabe und Integration beziehen (vgl. z.B. Backes und Clemens 2008 S. 230). Zu diesen Veränderungen zählen etwa Rollenverluste, die mit dem Eintritt in die so genannte nachfamiliäre Phase, dem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben sowie einer Verwitwung im Alter verbunden sind (Wagner et al. 2010, S. 325). Darüber hinaus gewinnt die Frage nach der sozialen Vernetzung im Alter auch vor dem Hintergrund veränderter familialer Beziehungsstrukturen und Unterstützungsmöglichkeiten aus Perspektive der Sozialpolitik ebenso wie der praktischen sozialen Altenarbeit an Bedeutung (z. B. Künemund & Kohli 2010, S. 310). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, inwieweit und auf welche Art und Weise ältere Menschen soziale Beziehungen aktiv gestalten und Veränderungen – also etwa auch soziale Rückzüge – bewusst vornehmen (z.B. Kruse und Wahl 1999, S. 334).

Gleichwohl scheint unbestritten, dass eine entsprechende – den jeweiligen biografischen Prägungen und aktuellen Wünschen entsprechende – soziale Vernetzung und Integration auch im Alter das subjektive Wohlbefinden sowie die Kompetenzen und Gesundheit älterer Menschen maßgeblich positiv beeinflussen können (z. B. Heusinger & Kümpers 2007, S. 1; Backes & Clemens 2008, S. 233).

Vor diesen Hintergründen ist soziale Netzwerkarbeit als methodischer Ansatz vor allem in der Sozialen Altenarbeit von großer Bedeutung. Denn aufbauend auf Methoden und Befunde der Netzwerkforschung bezieht sich soziale Netzwerkarbeit dann in der Praxis konkret auf die Analyse, Nutzung, Gestaltung und Ausweitung der Beziehungsstruktur und -qualität von älteren und alten Menschen (Galuske 2013, S. 330).

Ziele und Umsetzung

Soziale Netzwerkarbeit hat einerseits das Ziel, instabile oder unzureichende Netzwerke zu stabilisieren oder auszubauen. Andererseits geht es ihr darum, vorhandene Potenziale zu erkennen, zu fördern und zu nutzen (Galuske 2013, S. 330).

Methodische Elemente der Netzwerkarbeit lassen sich grob drei Gruppen zuordnen (Galuske 2013, S. 336):

  1. Netzwerkdiagnostik bzw. -analyse, bei der es um die Identifizierung und Betrachtung von Netzwerkstrukturen geht. Hierfür kann eine Vielzahl von Instrumenten genutzt werden (z. B. verschiedene Formen von Netzwerkkarten ebenso wie Genogramme und Soziogramme), die in der Untersuchung der sozialen Beziehungen einer Person letztlich der Frage nachgehen: Wer ist mit wem wie verbunden (Nowak 2013, S. 630).
  2. Netzwerkintervention bzw. -förderung, die – nach Lehrbuch – an den Ergebnissen der Netzwerkanalyse anschließt und etwa der Erhaltung, Erweiterung, Stärkung oder Neugestaltung sozialer Netzwerke dienen kann, indem die identifizierten sozialen Beziehungen gemeinsam betrachtet und mögliche Veränderungen angeregt und unterstützt werden. Hierbei sind dann alle Formen der oben genannten Netzwerktypen von Interesse und Informationen zu den vor Ort vorhandenen Strukturen und Optionen institutioneller sozialer Unterstützung von Bedeutung (z. B. Galuske 2013, S. 334ff.; Nowak 2013, S. 631f., Wendt 2015, S. 159ff.)
  3. Evaluation der Netzwerkintervention, welche die Ergebnisse und Wirkungen der Netzwerkintervention überprüft.

In der sozialen Altenarbeit ist der methodische Ansatz der Netzwerkarbeit von großer Bedeutung, um die sozialen Kontakte und Ressourcen der Adressat_innen einschätzen und bei Bedarf unterstützen zu können. Soziale Netzwerkarbeit wird sowohl in der offenen Altenarbeit als auch in der ambulanten, teilstationären und stationären Altenhilfe angewendet, wenngleich sich die Systematik und Intensität der methodischen Umsetzung hierbei deutlich unterscheiden. Während Ansätze der Netzwerkintervention oder -förderung in allen Handlungskontexten – zumindest implizit – wiederzufinden sind, so werden spezifische Instrumente der Netzwerkdiagnose sowie der Netzwerkevaluation wohl eher seltener systematisch und regulär und wenn dann eher in Kontexten der offenen Altenarbeit (z. B. in Beratungsstellen) als in der Altenhilfe angewendet. Eine Erfassung der sozialen Lage findet jedoch auch in der Altenhilfe im Rahmen von Instrumenten der Pflegeplanung und -dokumentation Berücksichtigung, indem z. B. in der Strukturierten Informationssammlung oder in Biografie Blättern Themenfelder zu ‚sozialen Beziehungen‘ enthalten sind.         

Literatur

Backes, Gertrud M. und Wolfgang Clemens, 2008. Lebensphase Alter. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Alternsforschung. 3., überarbeitete Auflage. Weinheim und München: Juventa Verlag. ISBN 9783779914792

Ehrhardt, Angelika, (2010). Methoden der Sozialen Arbeit. Schwalbach: Wochenschau Verlag. 978-3- 89974476-7

Galuske, Michael, 2013. Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. 10. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. ISBN 978-3-779-91447-1

Heusinger, Josephine und Susanne Kümpers, 2007. Potenziale zur Förderung sozialer Netzwerke älterer Menschen.In: Gesundheit Berlin, Hrsg. Dokumentation 12. Kongress Armut und Gesundheit. Berlin: Gesundheit Berlin e.V.

Kruse, Andreas und Hans W. Wahl, 1999. Soziale Beziehungen. Zeitschrift für Gerontologie + Geriatrie, 32, 5, S. 333-347. ISSN 0948-6704

Nowak, Jürgen, 2013. Netzwerke, soziale. In: Dieter Kreft und Ingrid Mielenz, Hrsg. Wörterbuch Soziale Arbeit. Aufgaben, Praxisfelder, Begriffe und Methoden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. 7. überarbeitete und aktualisierte Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 629-632.. ISBN 978-3-407-55781-0

Stimmer, Franz, 2012. Grundlagen des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-170-22006-5

Wagner, Michael, Yvonne Schütze und F. R. Lang, 2010. Soziale Beziehungen alter Menschen. In:  Lindenberger, Ulman/ Smith, Jacqui/ Mayer, Karl Ulrich/ Baltes, Paul B., Hrsg. Die Berliner Altersstudie. 3. erweiterte Auflage. Berlin: Akademie Verlag, S. 325-345. ISBN 978-3-050-04508-5

Wendt, Peter- Ulrich, 2015. Lehrbuch Methoden der Sozialen Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-779-93077-8

Zitiervorschlag
Bleck, Christian, 2017. Soziale Netzwerkarbeit [online]. Altenarbeit.info. Bonn: socialnet GmbH, [Zugriff am: 28.03.2024]. Verfügbar unter: https://www.altenarbeit.info/netzwerkarbeit.html

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Bertram von der Stein: Ältere Menschen in der Psychotherapie. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. 225 Seiten. ISBN 978-3-8379-3216-4.
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