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alter Mann mit Ball in der Hand

Zweikomponenten-Modell zur Bewältigung negativer Lebensereignisse nach Brandtstädter & Renner 1990 und Brandtstädter & Rothermund 2002

07.11.2017 | Gisela Thiele

Dem Modell liegt eine handlungstheoretische Orientierung insofern zugrunde, dass jeder Mensch in seiner Entwicklung bestrebt ist, möglichst eine konsistente Identität herauszubilden oder aufrechtzuerhalten. Zu dieser Orientierung gehören Ziele, die erreicht werden sollen, Selbstregulation, Selbstwirksamkeit, wahrgenommene Kontrolle bzw. Kompensation.

Um angestrebte Ziele zu erreichen, sollten interne und externe Ressourcen so lange hartnäckig verfolgt werden, bis der gewünschte Erfolg eintritt. Diese Verhaltensregulation wird in diesem Modell als assimilativ bezeichnet. Werden Ziele hingegen als schwer oder nicht (mehr) realisierbar wahrgenommen, kann es sinnvoll sein, sich von diesen zu lösen und sie durch andere oder aussichtsreichere Ziele zu ersetzen. Diese Ablösung von blockierten Zielen und die Hinwendung zu neuen wird akkommodativ genannt. Wichtig ist es einerseits, nicht zu schnell Ziele aufzugeben und andererseits unrealistische nicht zu lange zu verfolgen, um   Belastungen zu reduzieren, die oft Frustrationen nach sich ziehen (Brandtstädter 2001; 2007; 2011).

Der Umgang mit Diskrepanzen wird durch das dynamische Zusammenspiel assimilativer  und  akkommodativer Prozesse systematisiert. So wird angenommen, dass sie die Identität aufrechterhalten und Ist – Soll – Diskrepanzen aufheben. Diskrepanzen können durch Verlust nahestehender Personen oder schwere Krankheit begünstigt werden, denen man assimilativ begegnen kann, indem man an bewährten Verhaltensweisen festhält oder es werden akkommodative Bewältigungsformen gewählt, um die eigenen Ziele an die gegebenen Lebensumstände anzupassen, d.h. persönliche Ansprüche und Ziele werden reorganisiert.

Brandtstädter (2001; 2007; 2011) versteht unter Assimilation und Akkommodation zwei komplementäre und (partiell) antagonistische Prozesse.

Zur Präzisierung assimilativer Aktivitäten unterscheidet Brandtstädter (2007; 2011) zwischen drei unterschiedlichen, jedoch nicht unabhängigen Grundformen, in denen sich Verhalten   ausdrückt: (a) Selektion und Konstruktion von Entwicklungsumwelten, (b) selbstkorrektive und selbstregulatorische Handlungen und (c) kompensatorische Aktivitäten.

Grundlage der Begriffe der Assimilation und Akkommodation gehen auf Piaget zurück, der in seiner Theorie der kognitiven Entwicklung mit diesen Begriffen zwei komplementäre und dem Menschen angeborene Prozesse der Adaptation beschreibt, die Anpassung kognitiver Schemata zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung eines Gleichgewichts zwischen den inneren Strukturen und der wahrgenommenen Umwelt.

Empirisch bleibt die kulturübergreifende Gültigkeit dieses Modells noch weitgehend offen. Nur in wenigen Untersuchungen wurden bisher Versuche unternommen, assimilative oder akkommodative Bewältigungsreaktionen im kulturellen Vergleich zu betrachten (Drexler 2013).

Kernaussage: Assimilative Handlungsweisen hängen von der persönlichen Wertigkeit und Sinnhaftigkeit des angestrebten Zieles ab, von verfügbaren Ressourcen und von der individuellen Zuversicht in die eigene Handlungskontrolle. Akkommodative Prozesse ermöglichen durch Präferenzverschiebung und Valenzanpassung die „Auflösung“ (Greve 2007, S. 327) von Bedrohungen, denen nicht (mehr) aktiv begegnet werden kann. Sie können helfen, psychische Folgen von gescheiterten Projekten, Zielen oder nicht (mehr) realisierbaren Selbstvorstellungen zu überwinden und dadurch zur Stabilisierung eines positiven und konsistenten Selbstbildes beitragen (Drexler 2013).

Literatur

Brandtstädter, Jochen, 2001. Entwicklung - Intentionalität - Handeln. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-017104-6

Brandtstädter, Jochen, 2007. Das flexible Selbst. München: Spektrum Akademischer Verlag. ISBN 978-3-17-018180-9

Brandtstädter, Jochen, 2011. Positive Entwicklung: Zur Psychologie gelingender Lebensführung. Heidelberg: Springer. ISBN 978-3-662-46945-3

Brandtstädter, Jochen und Gerolf Renner, 1990. Tenacious goal pursuit and flexible goal adjustment: Explication and age-related analysis of assimilative and accommodative strategies of coping. In: Psychology and Aging. 5, 58–67. ISBN 978-0-826-13728-9

Brandtstädter, Jochen und Klaus Rothermund, 2002. The life-course dynamics of goal pursuit and goal adjustment: A two-process framework. In: Developmental Review. 22, 117–150. ISBN 978-1-4338-0561-5

Drexler, Heike, 2013. Selbstwissen und Selbstregulation. Bewältigungsprozesse unter Betrachtung der individuellen Selbstkonstruktion. Dissertation Universität Hildesheim.

Greve, Wilhelm, 2007. Selbst und Identität im Lebenslauf. In: Jochen Brandtstädter und Ulman Lindenberger, Hrsg. Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Stuttgart: Kohlhammer, S. 305–336. ISBN 978-3-17-018180-9

Zitiervorschlag

Thiele, Gisela. Zweikomponenten-Modell zur Bewältigung negativer Lebensereignisse nach Brandtstädter & Renner 1990 und Brandtstädter & Rothermund 2002 [online]. altenarbeit.info Theorien. Bonn: altenarbeit.info, [Zugriff am aktuelles Datum]. Verfügbar unter: https://www.altenarbeit.info/zweikomponenten-modell-zur-bewaeltigung-negativer-lebensereignisse.html.

Zitiervorschlag
Thiele, Gisela, 2017. Zweikomponenten-Modell zur Bewältigung negativer Lebensereignisse nach Brandtstädter & Renner 1990 und Brandtstädter & Rothermund 2002 [online]. Altenarbeit.info. Bonn: socialnet GmbH, [Zugriff am: 02.12.2024]. Verfügbar unter: https://www.altenarbeit.info/zweikomponenten-modell-zur-bewaeltigung-negativer-lebensereignisse.html

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